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Film: Fin
27. Februar 2010, 02:43
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Fin zeigt in sorgfältig komponierten, langsam aneinandergereihten Bildern die Geschichte von drei Jugendlichen. Ana, Ramia und Iker fahren gemeinsam mit unbekanntem Ziel und Plan hinauf in die katalanischen Berge. Die beiden Außenseiterinnen und der Macho am Steuer kannten sich vorher noch nicht, so viel wird klar. Ansonsten wird kaum gesprochen, kleine Spannungen zwischen den Dreien werden nur sparsam angedeutet. Die ruhigen und langen Einstellungen zeigen die Protagonisten in der Natur, zwischen Bergen und Bäumen, mal allein, mal gemeinsam, mit oder ohne Auto.

Es gibt irgendeine abstrakte Mission, auf der sich die Jugendlichen befinden, die sparsame Erzählung gibt sie aber nicht preis, balanciert so gekonnt am Rande der Langeweile, dass wir Zuschauer uns nach Handlung, nach Ereignissen sehnen. Die Art, wie ästhetisierte Naturbilder, Wind und zurückhaltende Musik eine diffuse Erwartungshaltung aufbauen helfen, erinnert an die Einleitung von Tarkowskis Solaris, übertragen auf die unterkühlte Optik der digitalen Redcam.

Erst nach einer Stunde wird der Plan der Jugendlichen enthüllt: gemeinsamer Suizid. Sorgfältig wird nun das „Fin“ abgehandelt: Vorbereitung, Rückblende und Abschiedsvideo, letzter Aufschub, Vollzug, Abspann mit depressivem Emo-Rock.

Mensch in Natur, Fin links, Solaris rechts

Ab diesem Moment des Erkennens, der wohl als dramaturgischer Höhepunkt gemeint ist, bricht leider die Spannung des Films zusammen. Das subtile Spiel der drei Figuren, ihr Verhalten im Raum, das Rätsel um ihr gemeinsames Ziel wird plötzlich einem klaren, tragischen Thema zugeordnet und verliert durch diese Einordnung seinen Reiz.

Beim Lesen des Katalogtextes (PDF) und im Berlinale-Interview nach dem Film wird klar, dass Regisseur Luis Sampieri einen ganzen Katalog von konkreten Themen zu behandeln glaubte. Der komplexe Hintergrund über das Internet, soziale Kompetenz, Einwanderung, Diskriminierung und Identitätskrisen mag bei der Inszenierung wichtig und hilfreich gewesen sein – bei den Zuschauern kommt er nicht an. So gerät die Auflösung zu einer unglaublich plakativen Einordnung des hilflosen Gefühls, das der Film zuvor so gekonnt entwickelt hat.

Dabei erzählt Fin durchaus von unserer Gesellschaft. Ulrich Behrens sieht in Solaris eine Arbeit über „Natur, Zivilisation, Transzendenz“ als „drei Seiten der gesellschaftlichen Entwicklung“. Und Fin arbeitet ebenso an genau diesem Verhältnis von Kultur und Natur. In seinem verwackelten Abschiedsvideo zeigt Iker Bienenstöcke, eine Schafherde – domestizierte Natur. Vor dem Selbstmord reinigt er fetischhaft das Auto mit Quellwasser, bevor es zum mobilen Altar für den Erstickungstod wird. Und Ramia muss ihm trotz nahendem Ende noch Benzingeld bezahlen, schließlich soll in der Kulturtechnik namens Kapitalismus alles seine Ordnung haben.

Als visuelle Studie über Mensch und Natur und soziale Mechanismen ist Fin interessant. An dem Anspruch, vielschichtig und ausführlich über „die heutige Jugend“ und ihre Probleme zu sprechen, ist Sampieri gescheitert. Der bunte aber sensible Film Ben X oder der etwas abgedrehte La journée de la jupe (im Panorama 2009, meine Kritik) erreichen ohne jene bewusste Schwere eine viel größere Tiefe.

Links

Fin im Forum der 60. Berlinale

Der Perlentaucher ist auch enttäuscht:

das alles ist zweifellos gut gemacht. Nur fragt man sich: Wofür?

Unaufgefordert ist anderer Meinung:

Luis Sampieri wollte nicht weniger schaffen als ein Modell und ein Lehrstück ohne Moral, denn das Ende hebt alle Moral auf.



Film: La journée de la jupe
15. Februar 2009, 22:42
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Im Gerangel mit ihren unkontrollierbaren Vorstadtschülern fällt einer jungen Lehrerin plötzlich eine Pistole in die Hände. Als sie instinktiv damit herumfuchtelt, weichen die Schüler plötzlich respektvoll zurück. Mit der Waffe in der Hand kann Sonia endlich eine ruhige Unterrichtsatmosphäre herstellen.

Aus dieser absurden Situation entwickelt sich eine Art Kammerspiel: Es kommt viel Frust zur Sprache, die Schüler haben untereinander und mit der Lehrerin einiges zu klären. Die Waffe gerät zwischendurch in die Hände verschiedener Schüler, doch die verfahrene Situation, ständig oszillierend zwischen konstruktiv und letal, löst sich nicht auf.

Auch draußen wirkt die Geiselnahme wie ein Katalysator zwischen verträumten Pädagogen, strengen Hardlinern, verzweifelten Eltern und einem machtlosen Schuldirektor. Ein bisschen schwarzer Humor darf auch sein: Der verhandelnde Polizeipsychologe streitet zwischendurch mit seiner Frau („Nein, ich wende meine Verhandlungstechniken nicht gerade bei dir an!“).

Mit seiner absurden Konstellation liefert der Film interessante Denkanstöße zum Miteinander in einem komplizierten multikulturellen Schulalltag. Wenn gesellschaftliche Realitäten sich wandeln, darf auch die Dramaturgie Kopf stehen: Nachdem amoklaufende Schüler zur Genüge Thema waren, hat nun die Lehrerin die Waffe in der Hand. Und fordert einen Tag, an dem sie ohne sexistische Kommentare in der Schule einen Rock tragen kann – nachdem vor ihr Generationen von Feministinnen das Recht zur Hose erstritten haben.

Regie: Jean-Paul Lilienfeld
Im Panorama der 59. Berlinale
IMDb
Trailer auf YouTube
Kritik im Festivalblog



Film: The Shock Doctrine
10. Februar 2009, 01:37
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Endlich Zeit für die Berlinale gehabt. Und auch noch ganz entspannt 30min. vor der Vorstellung eine Karte bekommen. Akkreditierungen werden überschätzt.

Im Panorama lief „The Shock Doctrine“ von Michael Winterbottom und Mat Whitecross, in einer Arbeitsfassung. Der globalisierungs- und privatisierungskritische Film basiert auf dem gleichnamigen Buch von Naomi Klein.

„The Shock Doctrine“ schlägt einen weiten Bogen, betrachtet die marktliberalen Thesen Milton Friedmans aus den 60-ern, bezieht Reagan, Thatcher, Pinochet, die Bushs und ihre Irakkriege und schließlich Obama mit ein. Die Kernthese: Die auf Friedman basierende radikale freie Marktwirtschaft wird vom westlichen System höchst aggressiv verbreitet und zwar in dem Vakuum, das nach politischen, wirtschaftlichen oder physischen Schocks bleibt. Dabei macht der Film deutlich, dass freie Marktwirtschaft und Demokratie mitnichten Hand in Hand gehen und dass Angstmacherei und Destabilisierung die Lieblingsinstrumente der liberalen Missionare sind.

Den Rahmen liefern Vortragsmitschnitte von Naomi Klein, sowie ein Off-Kommentator, dazwischen kommen Unmengen originales Filmmaterial zum Einsatz. Dabei fällt leider auf der großen Kinoleinwand die schlechte Qualität auf, vielleicht schlecht digitalisiertem Archivmaterial geschuldet, oder der Verwendung von NTSC-Fernsehbildern.

Auch wenn Kapitalismuskritik zur Zeit ohnehin schwer angesagt ist, schlägt der Film einige große Bögen und nimmt sich die Freiheit, auch ungewöhnliche Verbindungen zu konstruieren. Dass die erste US-Offensive im zweiten Irakkrieg ausgerechnet mit „Shock and Awe“ betitelt wurde, muss doch die These der Schock-Strategie belegen! Wirklich stark wird der Film, wenn er schlicht Zahlen liefert. So kamen in den US-Streitkräften bis in die 90-er hinein nur eine Handvoll privater Dienstleister auf 100 Soldaten. 2007 überstieg die Anzahl der Söldner schließlich sogar die der Soldaten. Fertig ist der Blackwater-Skandal. Und dabei war die Armee einer der wenigen Bereiche, den Milton Friedman in staatlicher Hand belassen wollte.

Das Publikum nahm den noch unfertigen Film zwar wohlwollend auf, fand aber auch die nötige Kritik: Ein Film, der eine Schockstrategie anprangere, dürfe nicht selbst mit so schockierenden Bildern und manipulativen Schnitten arbeiten. Etwas schlichter und fundierter wäre der Film weniger angreifbar.

Zu viel zu wollen – das musste sich allerdings schon die Buchvorlage vorwerfen lassen:

In Ihrem Buch werfen Sie alle möglichen Dinge zusammen: Die Globalisierung hat für Sie mit der Elektroschock-Folter in Lateinamerika zu tun, mit dem amerikanischen Geheimdienst CIA, sogar der Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman ist da verstrickt. Haben Sie eigentlich noch alle Tassen im Schrank?

So beginnt Thomas Fischermann 2007 ein ZEIT-Interview mit Naomi Klein. Und bringt sie durchaus in Bedrängnis.

Der Film ist am Ende sehenswert, auch wenn man das aus Michael-Moore-Filmen bekannte Unwohlsein ertragen muss, das die gefällig populäre Argumentation hinterlässt.



Berlinale: digital vs. 70mm
16. Januar 2009, 12:35
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Auf der in drei Wochen startenden Berlinale werden 30% der Vorführungen digital sein. Die Filme liegen verschlüsselt auf großzügigen 45 Terabyte Speicherplatz herum.

Gleichzeitig wird aber auch das immer noch überlegene analoge Format gefeiert:

Die Retrospektive „70 mm – Bigger than life“ widmet sich der beeindruckenden Bildgewalt des analogen Breitformats. Insgesamt werden 22 Filme im 70-mm-Format gezeigt, darunter Klassiker wie „Lawrence of Arabia“ (Super Panavision 70) und „The Sound of Music“ (Todd-AO). In puncto Bildqualität muss sich hier wohl auch der beste Kinobeamer geschlagen geben. (heise.de)

Eine spannende Gegenüberstellung…