partikelfernsteuerung


Preisfrage: Wen schützt das Grundgesetz vor wem?
2. August 2009, 19:10
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Udo Vetter bringt in einem besonnenen Wort zum Sonntag die Sache mit den Grundrechten nochmal auf den Punkt. Denn das Grundgesetz ist ein Abwehrrecht der Bürger gegen den Staat, wie in wohl jeder juristischen Einführungsvorlesung zu erfahren ist. Vetter legt ausführlich dar, wie insbesondere im Streit um die Internetsperren dieser Mechanismus ad absurdum geführt wird:

Frau von der Leyen münzt das Abwehrrecht gegen den Staat in einen Handlungsauftrag des Staates um. Plötzlich ist die Menschenwürde ein Grund für staatliches Eingreifen – der Staat schützt die Menschenwürde seiner Bürger, indem er Dritten den Mund zuhält oder durch Stoppschilder dafür sorgt, dass sie im Internet nicht mehr gelesen, gesehen und gehört werden können.

Das entfernt sich weit vom eigentlichen Sinn und Zweck des Grundrechts auf Menschenwürde. Wie absurd das Ganze ist, zeigt sich an von der Leyens Aussage, die Bewahrung der Menschenwürde begrenze Demokratie und Meinungsfreiheit auf das “richtige Maß”. So werden aus rechtsstaatlichen Grundelementen, die sich bedingen und ergänzen, Gegensätze.

Höchst lesenswert.

Update: Adrian Lang setzt sich mit dem Text hingegen eher kritisch auseinander.



Startschuss für das Stoppschild
19. Juni 2009, 08:02
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Man kann es ein bisschen zynisch finden: Gerade widersetzt sich im Iran eine junge, digital sozialisierte Generation gegen die staatliche Repression. Informationen über die Oppositionsbewegung werden trotz strenger Medienkontrolle verbreitet. Klassische Medien verlassen sich darauf, tagesschau.de verbreitet Tweets weiter, selbst das Springer-Blättchen B.Z. erklärt seinen Lesern begeistert, wie man sich bei Twitter anmeldet. Und ausgerechnet jetzt beschließt der Bundestag den Einstieg in eine Zensurinfrastruktur, ähnlich der, mit der iranische Oppositionelle gerade zu kämpfen haben. Sicher, in Deutschland sind diese Maßnahmen auf ein richtiges und hehres Ziel beschränkt. Dass die hierzu gewählten Mittel falsch und daher mitnichten durch den Zweck geheiligt sind, wurde oft genug wiederholt. Bis auf ein paar Ausnahmen haben alle Argumente und zigtausende Unterschriften nichts bewirkt. Immerhin, ein bisher nicht in Erscheinung getretener Internet-Beirat der SPD hat sich kurz auf die Hinterbeine gestellt.

Die paar kosmetischen Korrekturen, die auf den letzten Metern noch erfolgt sind, schreiben sich in der gestrigen Lesung im Bundestag sowohl Union als auch SPD auf die Fahnen. Auch sonst läuft alles wie erwartet: Die Opposition argumentiert vielfältig und deutlich gegen den Gesetzentwurf. Die SPD feiert ihren internen Kindergarten, Martin Dörmann verweigert seinem Fraktionskollegen Tauss das Wort. Und die CDU lässt eine euphorisierte Michaela Noll fragen, warum man denn ständig „nur über Risiken und Nebenwirkungen diskutiere“. Ja, verdammt, weil sorgfältige Abwägung Job der Parlamentarier ist, damit nicht schon wieder ein Gesetz vor lauter Nebenwirkungen auf der verfassungsrechtlichen Intensivstation kollabiert!

Ein vorhersehbarer Winkelzug ist auch eingetreten: Die vertraglichen Regelungen, die Ministerin von der Leyen erst im April in einer Hauruck-Aktion mit einigen Providern geschlossen hat, werden nun als Argument für eine gesetzliche Regelung ins Feld geführt. Dörmann nennt sie jetzt „Realitäten, die man zur Kenntnis nehmen muss.“ Viel schlimmer noch: Die Verabschiedung des Gesetzes würde den Kritikern nun endlich Einspruchsrechte einräumen, die sie bei den privatwirtschaflichen Verträgen nicht hätten. Diese schräge Argumentation gibt es auch nochmal schriftlich von ihm.

Frau von der Leyen, die Initiatorin der ganzen Angelegenheit, gab sich leider nicht die Ehre, sie schickte nur einen Stellvertreter. Womit sie Renate Gradistanac (SPD) in Verwirrung stürzte: Sie musste in ihrer vorbereiteten Rede in Echtzeit „Frau Ministerin“ durch „Herr Staatssekretär“ ersetzen. Nicht so einfach. Gute Nacht.



Zurückzensurwordpressplugin
16. Juni 2009, 16:58
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Es gab ja schon die Aktion „Überwach!„, die Zugriffe von Ministerien und Fraktionen protokollierte, sowie „Politiker-Stopp„, die das Ausdrucken von Internetseiten verhinderte. Beide waren ein technisch-humorvoller Protest gegen die rechtlichen Einschnitte in die freie und unbeobachtete Kommunikation der letzten Zeit.

Pünktlich zum neuen Gesetzesentwurf der großen Koalition zu Internetsperren gibt es nun „Zensiert zurück„, ein WordPress-Plugin, das Politiker aus dem eigenen Blog aussperrt und stattdessen ein frei wählbares Stopp-Bild anzeigt.

Wie Kommentatoren schon anmerkten ist es sicherlich nicht besonders klug, jene paar Politiker, die in Blogs recherchieren, auch noch auszusperren. Als kleiner satirischer Hinweis funktioniert das Plugin aber allemal.



#versachlichung
28. Mai 2009, 11:13
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Meine Güte, in Sachen Internet e.V. vs. Deutschland AG war ja gestern ordentlich was los.

Pünktlich vor der öffentlichen Anhörung zum Gesetzentwurf für Internetsperren zeigt der AK Zensur, dass „Löschen statt verstecken“ nicht nur ein knackiger Spruch ist. Er schrieb einfach Mails an jene Provider, auf deren Servern laut diverser Sperrlisten kinderpornographisches Material untergebracht war.

Mit beeindruckender Resonanz: Innerhalb der ersten 12 Stunden nach Aussenden der Mails wurden bereits 60 Webauftritte gelöscht. (Pressemitteilung)

Die Anhörung im Bundestag wird von Parlamentsfernsehen live ins Netz übertragen (MP3-Mitschnitt), allerdings sind die Videostreams hoffnungslos überlastet. Auf Twitter laufen Kommentare von Zuschauern vor Ort und zu Hause zusammen. In der Anhörung wird die Petition gegen Netzsperren respektvoll erwähnt, sowie die Bedenken der „Internetcommunity“ angesprochen. Der Vertreter von Die Linke zitiert sogar namentlich netzpolitik.org.

Klar ist nach der Anhörung im Bundestag am Mittwoch vor allem eines: das Thema ist kompliziert. Wesentlich komplizierter jedenfalls, als Familienministerin Ursula von der Leyen es darstellt. (zeit.de)

Als Frau von der Leyen wegen eines ganz anderen Gesetzesvorhabens in der Koalition heftige Kritik einstecken muss, jubeln Teile der „Internetcommunity“ schon vorschnell (auch hier namentlich netzpolitik.org…)

Aber wenn bei der Bundespräsidentenwahl neben Blumensträußen und einem Bläserquintett auch Twitter eine „Affäre“ auslösen kann – dann spricht das nur dafür, dass so langsam nicht mehr der Drucker das wichtigste Internet-Tool in der Politik ist. Vielleicht gibt es Hoffnung.



Im Sinne aller ehrlichen Comedians muss der perversen und komplizierten Satire der Kampf angesagt werden
15. Mai 2009, 11:57
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Als das Thema Internetsperren ernst wurde, hat der pantoffelpunk-Blog eine witzige Satireseite ins Netz gestellt. Im Design des Innenministeriums verkündete sie: „Die Seite, die sie aufrufen wollen, ist gesperrt.“ Eine beliebige URL konnte übergeben werden und wurde in die Sperrmeldung integriert. Der kleine Spaß machte schnell die Runde, man konnte sich gegenseitig einen Schreck einjagen, darüber, dass die liebste Politik-/Hacker-/Porno-/Drogen-/Chemie-Seite gesperrt wäre.

Aus dem kurzen Schrecken wurde sofort ein anerkennendes Schmunzeln. Wurde man doch als „Sehr geehrter Gefährder, sehr geehrte Gefährderin“ angesprochen, ein Werbebanner für den Waffenhändler Karl-Heinz Schreiber gezeigt, sowie weitere kleine Seitenhiebe ausgeteilt.

In einem lesenswerten Artikel beschreibt pantoffelpunk nun, wie das Bundesverwaltungsamt (das zum Geschäftsbereich des Innenministeriums gehört) im Handumdrehen seinen Webhoster die Domain kündigen ließ, ohne dass er benachrichtigt wurde und ohne dass auch nur ein einziges Wort über das Thema Satire=Kunst=frei gewechselt wurde. Oder gar ein Gerichtsbeschluss im Spiel war.

Und es bleibt die Frage: Wenn das BMI schon eine kleine Satire wegen Nachahmung der Internetseiten des Bundesministerium des Innern mit einem simplen Brief vom Netz nehmen kann – warum brauchen wir dann für die Beseitigung das Verstecken eindeutig krimineller und verabscheuenswerter Kinderpornografie ein ausgewachsenes Zensursystem?



Internetzensur-Mahnwache
17. April 2009, 10:28
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Heute morgen fand ab 9.00h vor dem Pressezentrum der Bundesregierung die Mahnwache gegen Internetzensur statt. Anlass war die Unterzeichnung der Verträge zwischen Internetprovidern und der Bundesfamilienministerin, in denen sich die Provider verpflichten, DNS-Sperren gegen kinderpornographische Webseiten umzusetzen. Wegen massiver Zweifel an der Wirksamkeit und Rechtsstaatlickeit der Maßnahme hagelte es Proteste. Eine gute Zusammenfassung der Kritik liefert heise.de

dsc00493gedrehtZur Mahnwache fanden sich geschätzt 500 gut gelaunte Menschen auf dem Vorplatz des Besucher- und Pressezentrums ein, mit kritischen Botschaften an Familienministerin Ursula „Zensursula“ von der Leyen. Viele Pressevertreter machten sich ein Bild von dem Protest, bevor sie im Pressezentrum die Unterzeichnung der Verträge dokumentierten. Wie breit sich die Mahnwache tatsächlich in der Berichterstattung widerspiegelt, bleibt abzuwarten.

Nach einer Stunde wurde die Veranstaltung offiziell aufgelöst, ein Teil der Demonstranten zog noch zum Hintereingang des Gebäudes weiter, um dort die Abfahrt der Provider und Politiker abzuwarten. Nach einigen Minuten begann die Polizei allerdings, Platzverweise auszusprechen, was die Veranstaltung dann endgültig beendete.

Eine Diskussion mit Providern oder Politikern entstand zwar nicht, eine bunte und friedliche Menschenmenge hat aber deutlich gemacht, dass eine populistische Wahlkampfkampagne nicht die Form ist, in der mit so brisanten Themen umgegangen werden sollte.

Wie man die heute beschlossenen „Sperren“ umgeht.