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Film: Zerrissene Umarmungen
4. August 2009, 13:37
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Zerrissene Umarmungen ist ein Film über Medien. Schon die erste Einstellung zeigt das Filmbild nicht direkt, sondern durch den Sucher einer Kamera. Wir sehen Schauspieler, die auf ihre Positionen dirigiert werden – die Aufnahme wird vorbereitet. Zentraler Bestandteil der Handlung ist dann auch ein Film-im-Film. Dessen Dreharbeiten werden vom spionierenden Sohn des eifersüchtigen Produzenten auf Video festgehalten, allerdings mit so schlechtem Ton, dass dieser eine Lippenleserin bemühen muss, um sich den Inhalt der Bänder zu erschließen. Der Regisseur wiederum fotografiert permanent, hauptsächlich seine Hauptdarstellerin. Auf den Bildern findet er später unentdeckte Personen (Antonionis Blow Up lässt grüßen).

Die Handlung bedient sich dabei kräftig aus der Werkzeugkiste der Filmdramaturgie. In gewaltigen Zeitsprüngen wird erzählt, wie Lena (Penélope Cruz) von der Sekretärin zur Schauspielerin wird und schließlich mit Regisseur Mateo (Lluís Homar) den Film Frauen und Koffer dreht – finanziert von ihrem reichen, alten und eifersüchtigen Geliebten Ernesto (José Luis Gómez).

Natürlich bleibt eine Liebschaft zwischen Lena und Mateo nicht aus und auch nicht geheim, so dass sie gemeinsam verschwinden, sobald der Film abgedreht ist. Die Rache des geprellten Mäzen Ernesto lässt nicht auf sich warten, er bringt den Film in einer grottenschlechten Version in die Kinos. Hier erzählt Almodóvar von der Kraft und dem Risiko des Filmemachens. Die schlechte Fassung entsteht dadurch, dass Ernesto statt des besten Takes jeder Einstellung einfach die schlechteste gedrehte Variante auswählt. Das gleiche Drehbuch, vom gleichen Regisseur mit den gleichen Schauspielern inszeniert, kann allein durch die Auswahl der Bilder zerstört werden.

Erst am Ende von Zerrissene Umarmungen darf Mateo, inzwischen durch einen Unfall erblindet, den Film neu schneiden, mit Hilfe seiner Agentin und ihres Sohnes, von dem er nicht weiß, dass er auch sein Sohn ist. Und auch hier wird Mediengeschichte sichtbar: Geschnitten wird mit Avid im Büro, nicht mehr im wuchtigen 35mm-Schnittraum, wie noch in der Rückblende zu sehen war.

Unterwegs präsentiert Almodóvar eine Menge kultureller Bezüge, mal darf Cruz sich als verblüffend ähnliche Audrey Hepburn zeigen, mal steht nur ganz dezent die berühmte rot-weiße Mondrakete aus Tim und Struppi im Regal. Oder es wird schonungslos die ultra-keusche Vampir-Reihe Twilight zerlegt, indem Mateo und sein Sohn ein Drehbuch für eine neue Mensch-Vampir-Romanze entwerfen, in der zur Abwechslung die Frau Macht und Gefahr darstellt („Beim Sex trägt sie einen Maulkorb, sie können sich also nicht küssen. Und Blasen geht gar nicht.“)

Volver, wenngleich ähnlich skurril, handelte noch von echten Menschen und ihren Schwierigkeiten. In Zerrissene Umarmungen sind die Protagonisten verändert, ihre Wirkung ist manipuliert. Mal durch Perücken, mal durch Drogen, oder eben durch die Wahl des guten oder schlechten Takes. Die Abhandlung über die medialen Interpretationsmöglichkeiten ist wertvoll, auch wenn man sie nicht auf eine „Hommage ans Kino“ (kino-zeit.de) reduzieren möchte. Doch der Verlust an Direktheit nimmt dem Zuschauer auch etwas von dem, das Spannung erzeugt: Identifikation mit den Figuren. Insofern kann man Michael Kienzl (critic.de) zustimmen, wenn er sagt Almodóvar habe sich „etwas mit seiner komplexen Erzählweise verhoben.“

Dennoch ist der Film dank witziger und vielschichtiger Szenen über weite Strecken empfehlenswert. Und ab Donnerstag im Kino.

Website zum Film
Trailer auf Youtube
Trailer in Quicktime HD



Ist „RT @Amalari: RT @beezan: RT @Dogwallah: RT @abzole: The rally is on, Pray for us #IranElection“ Journalismus?
15. Juni 2009, 13:39
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Die Wahl im Iran bewegt zur Zeit weltweit die Menschen und Medien. Und während man als Außenstehender noch rätselt, ob die Iraner wirklich ihren Hardliner wiedergewählt haben (irrationale Dinge passieren ja manchmal, auch in Europa), oder ob die Wahl gefälscht war, lässt die iranische Regierung nichts anbrennen und versucht die öffentliche Diskussion zu unterdrücken. BBC-Reporter wurden festgenommen, auch ARD- und ZDF-Korrespondenten haben Hausarrest oder Berichtsverbot. In umgekehrter Richtung wird der Satellitenempfang des Nahostprogramms der BBC gestört (Spiegel, NZZ).

Das Internet beweist wieder einmal, warum Machthaber es fürchten. Obwohl Twitter, Facebook und YouTube gesperrt sind, werden Bilder und Informationen wetlweit verbreitet. Die Berichte auf Revolutionary Road und von @persiankiwi und @Change_for_Iran sind weder zuverlässig noch neutral, dennoch bieten sie ein gutes Bild von Chaos, Gewalt und Unsicherheit vor Ort. Drumherum entsteht weltweit eine Menge Bewegung:

Es werden Listen von Proxyservern verbreitet, damit Iraner die Sperrung der Social Media-Dienste umgehen können. Anleitungen für Beobachter, wie man die Informationsflut auf Twitter und in Blogs filtert und versteht, werden veröffentlicht. Aufrufe kursieren, seine Solidarität auszudrücken, grüne Kleidung oder grüne Avatarbilder sind angesagt (#weargreen). Anderswo wird zur DDoS-Attacke auf die Webseiten der iranischen Regierung aufgerufen, um Propaganda und Verwirrung zu verhindern. Wer technisch Bescheid weiß, warnt wiederum davor, denn wenn das gesamte iranische Netz überlastet ist, dringen auch keine Nachrichten mehr über die Proteste nach außen. Protest vor (oder am besten in) iranischen Botschaften wird ebenso gefordert.

Die dezentrale Berichterstattung aus dem Netz ist also hochspannend. Und sie funktioniert, wenn man ein bisschen vielbeschworene Medienkompetenz und Abstand mitbringt.



Blog der Woche: Das Fernsehblog

Das Fernsehblog ist ein erfolgreiches Projekt der guten alten F.A.Z. Mit an Bord ist der unvermeidliche Stefan Niggemeier, an dessen persönlichem Blog sich immer wieder gern polemische „klassische Journalisten vs. Blogger“-Diskussionen entzünden. Wobei er sich zu letzteren zählt, schließlich hat er mit dem Bildblog gezeigt, dass man im Netz erfolgreich gegen auflagenstarke Print-Instanzen anstänkern kann. Ein Internet-Überzeugungstäter schreibt also nun für eine Tageszeitung (!) über’s Fernsehen (!!).

Das gelingt allerdings sehr gut. Neben ganz ernstgemeinter Fernsehkritik, die sich auch mal mit der Bildersprache von DSDS beschäftigt, geht es viel um Medienpolitik (Warum die ARD-Bürokraten es nicht hinkriegen, den erfolgreichen Stefan Raab mit an Bord des Eurovision-Zirkus‘ zu holen) oder polemisch um allzu platte Selbstbeweihräucherung des Pro7-Topmodel-Boulevards.

Großartig: Wenn in einer vierteiligen Serie (1,2,3,4) das Thema Fernsehformate und deren juristischer Schutz beleuchtet wird und zum Schluss nebenbei auf den Tisch kommt, wo die öffentlich-rechtlichen Sender von den Privaten Formate Trends übernommen haben.

URL: http://faz-community.faz.net/blogs/fernsehblog/
RSS-Feed: http://faz-community.faz.net/blogs/fernsehblog/rss.aspx



meng-âmok (malaiisch: in blinder Wut angreifen und töten)
12. März 2009, 16:22
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Aus aktuellem, bedrückendem Anlass dreht sich wieder das hektische Karussell um Killerspiele, Waffen und dieses komische Internet. Die Diskussion ist wichtig, so manchen Beitrag kann man sich allerdings sparen.

Es mag angesichts des sehr konkreten Dramas zynisch sein, einen Blick auf das große Ganze werfen zu wollen – aber es lohnt sich. „Amok: Geschichte einer Ausbreitung“ von Heiko Christians ist ein guter Ausgangspunkt. Amok wird als kulturelles und mediales Phänomen betrachtet, mit vielen kulturgeschichtlichen Seitenblicken, etwa auf Stefan Zweig (Der Amokläufer, 1922), Martin Scorcese (Taxi Driver, 1976) oder auf die „Bild“-Zeitung („Amok-Wespen!“ im Sommerloch).

„Die Welten des Amok und die Welten der Unterhaltung sind untrennbar verschränkt.“ Die Medien sind unschuldig am Amok, schuld aber an seiner Fehletikettierung als Epidemie. Wenn das Subjekt heute ein „pausenloser Schauspieler seiner selbst“ ist, dann gilt das eben auch für den Amokläufer und seine Mimesis zweiter Ordnung, erklärt aber nichts. Christians spürt dem Amok darauf als Motiv und Motivation in beiden Welten nach.
FAZ-Rezension, Februar 2009

Neben Polizeipräsidenten, Ministern und Geistlichen haben auch Kulturwissenschaftler den einen oder anderen Beitrag anzubieten. Die kommen bloß selten ins Fernsehen.



Lücke im System
11. Februar 2009, 17:42
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Offenbar wurde dem neuen Wirtschaftsminister von Guttenberg ein zusätzlicher Vorname angedichtet. Laut Bildblog hat jemand in dessen Wikipedia-Artikel einen elften Namen hinzugefügt. Diverse große Medienhäuser übernahmen die Fälschung aus der Online-Enzyklopädie. Der Fehler wurde dort wiederum unter Berufung auf die falschen Presseberichte akzeptiert, denn Pressequellen gelten als belegender Literaturhinweis.
Bildblog-Autor Stefan Niggemeier ätzt daraufhin in seinem eigenen Blog wieder einmal gegen die klassischen Pressehäuser,

die Ihnen morgen wieder erzählen, dass wir deshalb auch in Zukunft nicht auf Zeitungen und etablierte Medien verzichten können, weil in ihnen im Gegensatz zum bösen Internet verlässliche, überprüfte Informationen stehen.

Das ist nur einer der möglichen Schlüsse, hochspannend ist diese kleine Anekdote allemal.